URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
11. September 2001 (1)
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Richtlinie 92/43/EWG
- Erhaltung der natürlichen Lebensräume - Erhaltung der wild lebenden Tiere
und Pflanzen - Artikel 4 Absatz 1 - Liste von Gebieten - Informationen über
die Gebiete
In der Rechtssache C-67/99
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R.
Wainwright und P. Stancanelli als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in
Luxemburg,
gegen
Irland, vertreten durch M. A. Buckley als Bevollmächtigten im
Beistand von H. A. Whelehan, SC, und A. M. Collins, BL, Zustellungsanschrift
in Luxemburg,
wegen Feststellung, dass Irland dadurch gegen seine
Verpflichtungen aus der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur
Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und
Pflanzen (ABl. L 206, S. 7) verstoßen hat, dass es der Kommission nicht die in
Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 1 dieser Richtlinie genannte vollständige Liste
von Gebieten zusammen mit den in Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 2 der
Richtlinie verlangten Informationen über diese Gebiete übermittelt hat,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Gulmann (Berichterstatter) sowie
der Richter V. Skouris und R. Schintgen, der Richterin F. Macken und des
Richters J. N. Cunha Rodrigues,
Generalanwalt: P. Léger
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 18. Januar 2001,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3.
Mai 2001,
folgendes
Urteil
- 1.
- Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die
am 25. Februar 1999 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß
Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) Klage erhoben auf Feststellung,
dass Irland dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 92/43/EWG
des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der
wild lebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206, S. 7, im Folgenden: Richtlinie)
verstoßen hat, dass es der Kommission nicht die in Artikel 4 Absatz 1
Unterabsatz 1 dieser Richtlinie genannte vollständige Liste von Gebieten
zusammen mit den in Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie verlangten
Informationen über diese Gebiete übermittelt hat.
Das Gemeinschaftsrecht
- 2.
- Nach Artikel 2 der Richtlinie hat diese zum Ziel, zur Sicherung der
Artenvielfalt durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild
lebenden Tiere und Pflanzen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, für
das der EG-Vertrag Geltung hat, beizutragen.
- 3.
- Artikel 3 Absätze 1 und 2 der Richtlinie bestimmt:
(1) Es wird ein kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer
Schutzgebiete mit der Bezeichnung .Natura 2000' errichtet. Dieses Netz besteht
aus Gebieten, die die natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I sowie die
Habitate der Arten des Anhang[s] II umfassen, und muss den Fortbestand oder
gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes
dieser natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten in ihrem natürlichen
Verbreitungsgebiet gewährleisten.
Das Netz .Natura 2000' umfasst auch die von den Mitgliedstaaten aufgrund
der Richtlinie 79/409/EWG ausgewiesenen besonderen Schutzgebiete.
(2) Jeder Staat trägt im Verhältnis der in seinem Hoheitsgebiet vorhandenen
in Absatz 1 genannten natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten zur
Errichtung von Natura 2000 bei. Zu diese[m] Zweck weist er nach den
Bestimmungen des Artikels 4 Gebiete als besondere Schutzgebiete aus, wobei er
den in Absatz 1 genannten Zielen Rechnung trägt.
- 4.
- Nach Artikel 1 Buchstabe j der Richtlinie ist Gebiet ein geographisch
definierter Bereich mit klar abgegrenzter Fläche. Nach Artikel 1 Buchstabe k
der Richtlinie ist Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung ein Gebiet, das in
der oder den biogeographischen Region(en), zu welchen es gehört, in
signifikantem Maße dazu beiträgt, einen natürlichen Lebensraumtyp des Anhangs
I oder eine Art des Anhangs II in einem günstigen Erhaltungszustand zu
bewahren oder einen solchen wiederherzustellen, und auch in signifikantem Maße
zur Kohärenz des Netzes Natura 2000 und/oder in signifikantem Maße zur
biologischen Vielfalt in der biogeographischen Region beitragen kann. Bei
Tierarten, die große Lebensräume beanspruchen, entsprechen die Gebiete von
gemeinschaftlichem Interesse den Orten im natürlichen Verbreitungsgebiet
dieser Arten, die die für ihr Leben und ihre Fortpflanzung ausschlaggebenden
physischen und biologischen Elemente aufweisen.
- 5.
- Das in Artikel 4 der Richtlinie festgelegte Verfahren für die Ausweisung
der besonderen Schutzgebiete besteht aus vier Phasen. Als Erstes legt jeder
Mitgliedstaat eine Liste von Gebieten vor, in der die in diesen Gebieten
vorkommenden natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I und einheimischen Arten
des Anhangs II der Richtlinie aufgeführt sind (Artikel 4 Absatz 1). Als
Zweites erstellt die Kommission jeweils im Einvernehmen mit den
Mitgliedstaaten aus den Listen der Mitgliedstaaten den Entwurf einer Liste der
Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung (Artikel 4 Absatz 2 Unterabsätze 1
und 2). Als Drittes wird die Liste der Gebiete, die als Gebietevon
gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewählt wurden, von der Kommission nach dem
Verfahren des Artikels 21 der Richtlinie festgelegt (Artikel 4 Absätze 2
Unterabsatz 3 und 3). Als Viertes weisen die Mitgliedstaaten die Gebiete von
gemeinschaftlicher Bedeutung als besondere Schutzgebiete aus (Artikel 4 Absatz
4).
- 6.
- Speziell in Bezug auf die erste Phase bestimmt Artikel 4 Absatz 1
Unterabsatz 1 der Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten die dort genannte Liste
von Gebieten anhand der in Anhang III (Phase 1) der Richtlinie festgelegten
Kriterien und einschlägiger wissenschaftlicher Informationen vorlegen.
- 7.
- Anhang III (Phase 1) Abschnitte A und B der Richtlinie nennt folgende
Kriterien:
A. Kriterien zur Beurteilung der Bedeutung des Gebietes für einen
natürlichen Lebensraumtyp des Anhangs I
a) Repräsentativitätsgrad des in diesem Gebiet vorkommenden natürlichen
Lebensraumtyps.
b) Vom natürlichen Lebensraumtyp eingenommene Fläche im Vergleich zur
Gesamtfläche des betreffenden Lebensraumtyps im gesamten Hoheitsgebiet des
Staates.
c) Erhaltungsgrad der Struktur und der Funktionen des betreffenden
natürlichen Lebensraumtyps und Wiederherstellungsmöglichkeit.
d) Gesamtbeurteilung des Wertes des Gebietes für die Erhaltung des
betreffenden natürlichen Lebensraumtyps.
B. Kriterien zur Beurteilung der Bedeutung des Gebiets für eine gegebene
Art des Anhangs II
a) Populationsgröße und -dichte der betreffenden Art in diesem Gebiet im
Vergleich zu den Populationen im ganzen Land.
b) Erhaltungsgrad der für die betreffende Art wichtigen Habitatselemente
und Wiederherstellungsmöglichkeit.
c) Isolierungsgrad der in diesem Gebiet vorkommenden Population im
Vergleich zum natürlichen Verbreitungsgebiet der jeweiligen Art.
d) Gesamtbeurteilung des Wertes des Gebietes für die Erhaltung der
betreffenden Art.
- 8.
- Nach Anhang III (Phase 1) Abschnitt C der Richtlinie stufen die
Mitgliedstaaten anhand der in Anhang III (Phase 1) Abschnitte A und B
genannten Kriterien die Gebiete, die sie mit der nationalen Liste vorschlagen,
als Gebiete ein, die aufgrundihres relativen Wertes für die Erhaltung
jedes/jeder der in Anhang I bzw. II der Richtlinie genannten natürlichen
Lebensraumtypen bzw. Arten als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung
bestimmt werden könnten.
- 9.
- Nach Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie ist die Liste der
vorgeschlagenen Gebiete der Kommission binnen drei Jahren nach der Bekanntgabe
der Richtlinie gleichzeitig mit den Informationen über die einzelnen Gebiete
zuzuleiten. Diese Informationen umfassen eine kartographische Darstellung des
Gebietes, seine Bezeichnung, seine geographische Lage, seine Größe sowie die
Daten, die sich aus der Anwendung der in Anhang III (Phase 1) genannten
Kriterien ergeben, und werden anhand eines von der Kommission nach dem
Verfahren des Artikels 21 der Richtlinie ausgearbeiteten Formulars (im
Folgenden: Formular) übermittelt.
- 10.
- Da die Richtlinie am 10. Juni 1992 bekannt gegeben wurde, hätten die
Mitgliedstaaten die Liste der vorgeschlagenen Gebiete und die Informationen
über die einzelnen Gebiete der Kommission vor dem 11. Juni 1995 übermitteln
müssen.
- 11.
- Das Formular wurde erst mit der Entscheidung 97/266/EG der Kommission vom
18. Dezember 1996 über das Formular für die Übermittlung von Informationen zu
den im Rahmen von NATURA 2000 vorgeschlagenen Gebieten (ABl. 1997, L 107, S.
1) ausgearbeitet. Diese Entscheidung wurde den Mitgliedstaaten am 19. Dezember
1996 mitgeteilt und am 24. April 1997 im Amtsblatt der Europäischen
Gemeinschaften veröffentlicht.
Vorverfahren
- 12.
- Da die Kommission der Auffassung war, sie habe von den irischen Stellen
weder die vollständige Liste der Gebiete, in denen die natürlichen
Lebensraumtypen des Anhangs I und die einheimischen Arten des Anhangs II der
Richtlinie vorkommen, noch die Informationen über diese Gebiete und auch
keinerlei sonstige Nachricht erhalten, die darauf hätte schließen lassen, dass
Irland die notwendigen Maßnahmen ergriffen hatte, um seinen Verpflichtungen
aus Artikel 4 der Richtlinie nachzukommen, forderte sie die irische Regierung
am 24. April 1996 gemäß dem Verfahren des Artikels 169 des Vertrages auf, sich
binnen zwei Monaten hierzu zu äußern.
- 13.
- Mit Schreiben vom 28. April 1997 übermittelten die irischen Stellen eine
Liste von 207 Gebieten mit einer Fläche von 5 530 km2, die
öffentlich für die Ausweisung als besondere Schutzgebiete vorgeschlagen worden
waren und prioritäre natürliche Lebensräume beherbergten.
- 14.
- Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Formular erst ab dem 19.
Dezember 1996 zur Verfügung gestanden hatte, sandte die Kommission der
irischen Regierung am 11. Juli 1997 ein ergänzendes Mahnschreiben. Darin warf
sie ihr erneut vor, nicht die vollständige Liste der Gebiete und die
Informationen über diese Gebiete übermittelt zu haben, und forderte sie auf,
sich binnen eines Monats zu diesem Verstoß gegenArtikel 4 Absatz 1 der
Richtlinie zu äußern. Sie unterstrich insbesondere, dass zur Übermittlung der
betreffenden Daten das Formular zu verwenden sei.
- 15.
- Mit Schreiben vom 5. September 1997 teilten die irischen Stellen der
Kommission mit, dass sie beabsichtigten, Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 1 der
Richtlinie nachzukommen, indem sie die erforderliche Liste in drei Teilen
erstellten. Der erste enthalte die Gebiete mit prioritären natürlichen
Lebensraumtypen, der zweite die Gebiete mit nichtprioritären natürlichen
Lebensräumen und Arten und der dritte die Meeresgebiete. Die am 28. April 1997
übermittelte Liste, die den ersten der drei Teile betraf, sollte nach Angaben
der irischen Stellen zu keinem Zeitpunkt die förmliche Übermittlung ersetzen
oder entbehrlich machen.
- 16.
- Da die Kommission auch nach dem Schriftwechsel mit den irischen Stellen
weiter der Ansicht war, dass Irland keine vollständige Liste der Gebiete, in
denen die natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I und die einheimischen
Arten des Anhangs II der Richtlinie vorkommen, zusammen mit den Informationen
über diese Gebiete übermittelt habe, sandte sie diesem Mitgliedstaat am 19.
Dezember 1997 gemäß Artikel 169 des Vertrages eine mit Gründen versehene
Stellungnahme mit der Aufforderung, dieser binnen zwei Monaten nach ihrer
Bekanntgabe nachzukommen.
- 17.
- Mit Schreiben vom 23. Februar 1998 teilten die irischen Stellen der
Kommission mit, dass die fehlende Übermittlung der Liste von Gebieten und der
Informationen über diese Gebiete auf Verzögerungen im Zusammenhang mit dem
öffentlichen Konsultierungsverfahren in Irland beruhe, dass sie aber meinten,
der Kommission bis Mitte 1998 eine Liste übermitteln zu können. Mit Schreiben
vom 30. September 1998 übermittelten die irischen Stellen gemäß Artikel 4
Absatz 1 der Richtlinie eine erste endgültige Teilliste mit 39 Gebieten. Die
Informationen zu den in dieser ersten endgültigen Teilliste enthaltenen 39
Gebieten waren mit gesondertem Schreiben vom 6. August 1998 übermittelt
worden. Mit Schreiben vom 12. Oktober 1998 übermittelten die irischen Stellen
gemäß Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie eine zweite endgültige Teilliste mit
neun Gebieten. Die Informationen über die in dieser zweiten Liste enthaltenen
Gebiete waren mit gesondertem Schreiben vom 6. Oktober 1998 übermittelt
worden.
- 18.
- Diese Mitteilungen ließen nach Ansicht der Kommission nicht darauf
schließen, dass Irland den betreffenden Verstoß beendet habe. Die Kommission
hat daher die vorliegende Klage beim Gerichtshof erhoben.
Zur Zulässigkeit
- 19.
- Die irische Regierung macht geltend, die Klage sei in vollem Umfang für
unzulässig zu erklären. Die mit Gründen versehene Stellungnahme entspreche
nicht den Anforderungen der Rechtsprechung des Gerichtshofes. Sie erhalte
nämlich keine zusammenhängende und detaillierte Darlegung der Gründe, aus
denen die Kommission zu der Überzeugung gelangt sei, dass Irland gegen seine
Verpflichtungen aus dem Vertrag vorstoßen habe.
- 20.
- Die Stellungnahme enthalte zudem nicht dieselben Gründe und Rügen wie die
Klageschrift. In der mit Gründen versehenen Stellungnahme sei nur von der
Verspätung die Rede, mit der Irland Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie
nachgekommen sei, es werde jedoch nicht wie in der Klageschrift speziell
gerügt, dass Irland den materiellen Anforderungen dieser Vorschrift nicht
nachgekommen sei.
- 21.
- Die mit Gründen versehene Stellungnahme muss eine zusammenhängende und
detaillierte Darlegung der Gründe enthalten, aus denen die Kommission zu der
Überzeugung gelangt ist, dass der betreffende Staat gegen seine
Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht verstoßen hat (vgl. insbesondere
Urteil des Gerichtshofes vom 16. September 1997 in der Rechtssache C-279/94,
Kommission/Italien, Slg. 1997, I-4743, Randnr. 15).
- 22.
- Zudem wird der Gegenstand der nach Artikel 169 des Vertrages erhobenen
Klage durch das in dieser Vorschrift vorgesehene vorprozessuale Verfahren
umschrieben, weshalb die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission
und die Klage auf dieselben Rügen gestützt werden müssen (vgl. insbesondere
Urteil Kommission/Italien, Randnr. 24).
- 23.
- Dieser Grundsatz schließt jedoch nicht aus, dass die Kommission in der
Klageschrift ihre ursprünglichen Rügen präzisiert, sofern sie nicht den
Streitgegenstand abändert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. April 2000 in
der Rechtssache C-256/98, Kommission/Frankreich, Slg. 2000, I-2487, Randnrn.
30 und 31).
- 24.
- In ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme hat die Kommission Irland
vorgeworfen, weder die endgültige und vollständige Liste der Gebiete, die als
besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden könnten, noch die in Artikel 4
Absatz 1 Unterabsätze 1 und 2 der Richtlinie vorgesehenen zugehörigen
Informationen übermittelt zu haben. Die Kommission hat insoweit ausgeführt,
dass die informatorische Teilliste, die die irischen Stellen am 28. April 1997
übermittelt hätten, weder unter geographischen Gesichtspunkten noch bezüglich
der zu erfassenden natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten als
vollständige Liste angesehen werden könne und dass die Informationen über die
mitgeteilten Gebiete nicht alle in Betracht kommenden Gebiete beträfen.
- 25.
- In ihrer Klageschrift hat die Kommission dieselben Feststellungen
getroffen wie in der mit Gründen versehenen Stellungnahme. Sie hat erklärt,
dass die von Irland vorgelegte endgültige Teilliste angesichts der
wissenschaftlichen Referenzquellen unzureichend sei. Für 26 natürliche
Lebensraumtypen von gemeinschaftlichem Interesse - darunter sieben im irischen
Hoheitsgebiet stark vertretene prioritäre natürliche Lebensräume, und zwar
Küstenlagunen, feste entkalkte Dünen der atlantischen Zone (Calluno-Ulicetea),
entkalkte Dünen mit Empetrum nigrum (Braundünen), naturnahe lebende Hochmoore,
Moorwälder, Wälder auf den Britischen Inseln mit Taxus baccata - sowie für 20
Arten von gemeinschaftlichem Interesse - wie Rhinolophus hipposideros, Phoca
vitulina, Alosa fallax, Geomalacus maculosus und Margaritiferamargaritifera,
die in Irland in großen Populationen vorkämen - habe dieser Staat gar keine
Gebiete vorgeschlagen. Für bestimmte natürliche Lebensraumtypen und Arten sei
die Zahl der von Irland endgültig vorgeschlagenen Gebiete nicht ausreichend
gewesen.
- 26.
- Aus dem Vorstehenden ergibt sich erstens, dass im vorliegenden Falle die
mit Gründen versehene Stellungnahme den in Randnummer 21 dieses Urteils
genannten Anforderungen der Rechtsprechung des Gerichtshofes entspricht.
- 27.
- Zweitens erlauben diese Ausführungen die Feststellung, dass die Kommission
in ihrer Klageschrift nicht den Streitgegenstand abgeändert, sondern lediglich
die in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme vorgebrachte Rüge, dass
keine Liste sämtlicher Gebiete, die als besondere Schutzgebiete ausgewiesen
werden könnten, übermittelt worden sei, erläutert hat, indem sie konkrete
Beispiele für Mängel in den von Irland bereits übermittelten Listen angeführt
hat.
- 28.
- Die von Irland erhobene Unzulässigkeitseinrede ist daher zurückzuweisen.
Zur Begründetheit
Zum ersten Klagegrund
- 29.
- Bezüglich der Verpflichtung, die in Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 1 der
Richtlinie genannte Liste von Gebieten zu übermitteln, weist die Kommission
darauf hin, dass jeder Mitgliedstaat im Verhältnis der in seinem Hoheitsgebiet
vorhandenen natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten, die in den
Anhängen I und II der Richtlinie aufgeführt seien, zur Errichtung eines
kohärenten europäischen ökologischen Netzes beitrage. Artikel 4 Absatz 1 und
Anhang III der Richtlinie machten deutlich, dass die Mitgliedstaaten bei der
Auswahl der Gebiete für die Liste über einen gewissen Ermessensspielraum
verfügten. Dieser Spielraum hänge jedoch von der Einhaltung folgender drei
Bedingungen ab:
- Die vorzuschlagenden Gebiete dürften nur aufgrund wissenschaftlicher
Kriterien ausgewählt werden;
- die vorgeschlagenen Gebiete müssten eine homogene und für das gesamte
Hoheitsgebiet jedes Mitgliedstaats repräsentative geographische Erfassung
gewährleisten, damit die Kohärenz und das Gleichgewicht des daraus
entstehenden Netzes sichergestellt seien. Die vom Mitgliedstaat vorgeschlagene
Liste müsse daher die ökologische (und bei Arten genetische) Vielfalt der
Lebensraumstypen und Arten in diesem Mitgliedstaat widerspiegeln;
- die Liste müsse vollständig sein, d. h., jeder Mitgliedstaat müsse so
viele Gebiete vorschlagen, dass alle im Hoheitsgebiet dieses Staates
befindlichen natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I und alle Habitate der
Arten desAnhangs II der Richtlinie in ausreichend repräsentativer Weise
berücksichtigt werden könnten.
- 30.
- Zur nationalen irischen Liste trägt die Kommission vor, dass ihr bei
Ablauf der Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt
worden sei, also am 19. Februar 1998, eine Liste Irlands mit 207 Gebieten
vorgelegen habe, bei der es sich aber nur um eine informatorische Liste
gehandelt habe. Zum Zeitpunkt der Klageeinreichung beim Gerichtshof, am 25.
Februar 1999, habe ihr keine Bestätigung dieser informatorischen Liste durch
Irland, sondern lediglich eine endgültige Teilliste mit 48 Gebieten und den
zugehörigen Informationen vorgelegen; zum Zeitpunkt der mündlichen
Verhandlung, am 18. Januar 2001, habe eine Liste mit insgesamt 362 Gebieten
vorgelegen.
- 31.
- Die Kommission habe das vorliegende Verfahren angestrengt, um feststellen
zu lassen, dass die nationale irische Liste offensichtlich unzureichend und
deshalb der den Mitgliedstaaten eingeräumte Ermessensspielraum weit
überschritten sei. Nicht nur sei angesichts der Situation bei Ablauf der in
der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist eindeutig, dass die
Liste unzureichend sei, sondern es sei noch eine ganze Reihe von Vorbehalten
zu der Liste mit 362 Gebieten zu machen. Die nationale irische Liste
entspreche daher nicht den Kriterien nach Artikel 4 Absatz 1 und Anhang III
der Richtlinie.
- 32.
- Die irische Regierung räumt ein, dass der Kommission bei Ablauf der Frist,
die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden sei, keine wie
auch immer beschaffene Liste von Gebieten vorgelegen habe, die als besondere
Schutzgebiete ausgewiesen werden könnten. Diese Verspätung beruhe auf
Schwierigkeiten interner Art. Um die Zustimmung der Bevölkerung zu den
ehrgeizigen Zielen der Richtlinie zu erlangen, sei es für notwendig gehalten
worden, eine breit angelegte Konsultierung der Bevölkerung einzuleiten. Die
362 bis Januar 2001 offiziell gemeldeten irischen Gebiete seien nach irischem
Recht geschützt, was weit über die Anforderungen der Richtlinie hinausgehe.
- 33.
- Zwar ergibt sich aus den Vorschriften des Artikels 4 Absatz 1 der
Richtlinie über das Verfahren zur Bestimmung der Gebiete, die als besondere
Schutzgebiete ausgewiesen werden könnten, dass die Mitgliedstaaten beim
Vorschlag von Gebieten über einen gewissen Ermessensspielraum verfügen, doch
müssen sie, wie die Kommission festgestellt hat, dabei die in der Richtlinie
festgelegten Kriterien beachten.
- 34.
- Um einen Entwurf einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung
zu erstellen, der zur Errichtung eines kohärenten europäischen ökologischen
Netzes besonderer Schutzgebiete führen kann, muss die Kommission über ein
umfassendes Verzeichnis der Gebiete verfügen, denen auf nationaler Ebene
erhebliche ökologische Bedeutung für das Ziel der Erhaltung der natürlichen
Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen im Sinne der Richtlinie
zukommt. Zu diesem Zweck wird dieses Verzeichnis anhand der in Anhang III
(Phase 1) der Richtlinie festgelegtenKriterien erstellt (Urteil vom 7.
November 2000 in der Rechtssache C-371/98, First Corporate Shipping, Slg.
2000, I-9235, Randnr. 22).
- 35.
- Nur auf diese Weise ist das in Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 1 der
Richtlinie gesetzte Ziel der Wahrung oder Wiederherstellung eines günstigen
Erhaltungszustands dieser natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten
in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet, das sich über eine oder mehrere
Binnengrenzen der Gemeinschaft erstrecken kann, zu erreichen. Wie sich nämlich
aus Artikel 1 Buchstaben e und i in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 der
Richtlinie ergibt, ist für die Beurteilung des Erhaltungszustands eines
natürlichen Lebensraums oder einer Art auf das gesamte europäische Gebiet der
Mitgliedstaaten, für das der EG-Vertrag Geltung hat, abzustellen (Urteil First
Corporate Shipping, Randnr. 23).
- 36.
- Im Übrigen ist das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Situation
zu beurteilen, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die
in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war. Spätere
Veränderungen kann der Gerichtshof daher nicht berücksichtigen (vgl.
insbesondere Urteil vom 8. März 2001 in der Rechtssache C-266/99,
Kommission/Frankreich, Slg. 2001, I-1981, Randnr. 38).
- 37.
- Bei Ablauf der Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme
gesetzt worden war, also am 19. Februar 1998, war der Inhalt der der
Kommission übermittelten nationalen irischen Liste offensichtlich unzureichend
und deshalb der Ermessensspielraum, über den die Mitgliedstaaten bei der
Erstellung der in Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie genannten
Liste von Gebieten verfügen, weit überschritten. Nach der in der vorstehenden
Randnummer dieses Urteils zitierten Rechtsprechung sind die der Kommission
nach Ablauf dieser Frist übermittelten Listen von Gebieten im Rahmen der
vorliegenden Klage unbeachtlich.
- 38.
- Somit hat Irland gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie verstoßen,
indem es der Kommission innerhalb der vorgeschriebenen Frist nicht die in
Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 1 dieser Richtlinie genannte Liste von Gebieten
übermittelt hat.
Zum zweiten Klagegrund
- 39.
- Bezüglich der Verpflichtung zur Übermittlung von Informationen über die
Gebiete, die als besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden könnten, räumt die
irische Regierung ein, dass der Kommission diese Informationen bei Ablauf der
Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden sei,
nicht vorgelegen hätten; da aber das Formular erst im Dezember 1996 erstellt
worden sei und die Kommission darauf bestanden habe, dass die betreffenden
Informationen mittels dieses Formulars übermittelt würden, habe diese
umfangreiche Arbeit nicht innerhalb der genannten Frist erledigt werden
können.
- 40.
- Die Kommission macht geltend, dass die Verpflichtung zur Übermittlung der
Informationen über die einzelnen Gebiete vor dem 11. Juni 1995 habe erfüllt
werdenmüssen. Auch wenn man davon ausgehe, dass einige Mitgliedstaaten, die
vor dem 11. Juni 1995 über die Liste der vorgeschlagenen Gebiete und die
entsprechenden Informationen dazu verfügt hätten, auf die Erstellung des
Formulars hätten warten wollen, hätten sie diese Informationen nach
Bekanntgabe des Formulars am 19. Dezember 1996 rasch in dieses übertragen und
der Kommission übermitteln können.
- 41.
- Um der verspäteten Erstellung des Formulars Rechnung zu tragen, habe sie
das Vorverfahren verlängert, indem sie Irland am 11. Juli 1997, also lange
nach Bekanntgabe des Formulars, ein ergänzenden Mahnschreiben gesandt habe.
Die irischen Stellen seien daher uneingeschränkt in der Lage gewesen, ihre
Verpflichtung zur Übermittlung der Informationen über die einzelnen Gebiete zu
erfüllen. Bei Ablauf der Frist, die in der mit Gründen versehenen
Stellungnahme gesetzt worden sei, also am 19. Februar 1998, hätten der
Kommission aber die Informationen Irlands über die vorzuschlagenden Gebiete
nicht vorgelegen.
- 42.
- Die Kommission sandte der irischen Regierung zwar zunächst am 24. April
1996, also vor Bekanntgabe des Formulars, ein Mahnschreiben, doch richtete sie
nach der Bekanntgabe ein neues Mahnschreiben an sie, in dem sie ihr eine neue
Frist gewährte, um Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie
nachzukommen.
- 43.
- Außerdem wussten die Mitgliedstaaten mit Bekanntgabe der Richtlinie am 10.
Juni 1992, welche Arten von Informationen sie zusammenstellen mussten, um sie
innerhalb von drei Jahren nach der Bekanntgabe, also vor dem 11. Juni 1995, zu
übermitteln. Sie wussten ferner, dass diese Informationen nach Erstellung des
Formulars durch die Kommission mittels dieses Formulars zu übermitteln waren.
Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie bestimmt ausdrücklich, dass
die Informationen, die mittels eines von der Kommission ausgearbeiteten
Formulars zu übermitteln sind, eine kartographische Darstellung des Gebietes,
seine Bezeichnung, seine geographische Lage, seine Größe sowie die Daten, die
sich aus der Anwendung der in Anhang III (Phase 1) genannten Kriterien
ergeben, umfassen.
- 44.
- Daher ist die Frist, die die Kommission der irischen Regierung für die
Erfüllung der Verpflichtung eingeräumt hat, die Informationen über die
Gebiete, die sie bereits vor dem 11. Juni 1995 besitzen musste, in das
Formular zu übertragen, als angemessen anzusehen. Die irische Regierung hatte
nämlich - vom 19. Dezember 1996, dem Zeitpunkt der Bekanntgabe des Formulars,
bis zum 19. Februar 1998, dem Zeitpunkt des Ablaufs der Frist, die in der mit
Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war - über ein Jahr Zeit, um
diesen speziellen Vorgang zu erledigen.
- 45.
- Da die irische Regierung einräumt, dass sie bei Ablauf der Frist, die in
der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, der Kommission
nicht mittels des Formulars die Informationen über die vorzuschlagenden
Gebiete übermittelt hatte, ist festzustellen, dass Irland dadurch gegen seine
Verpflichtungen aus der Richtlinie verstoßen hat, dass es der Kommission
innerhalb der vorgeschriebenen Frist nichtgemäß Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz
2 der Richtlinie die Informationen über die in der Liste nach Unterabsatz 1
dieser Bestimmung aufgeführten Gebiete übermittelt hat.
Kosten
- 46.
- Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf
Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da Irland mit seinem Vorbringen
unterlegen ist, sind ihm dem Antrag der Kommission gemäß die Kosten
aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Irland hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie
92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume
sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen verstoßen, dass es der Kommission
innerhalb der vorgeschriebenen Frist nicht die in Artikel 4 Absatz 1
Unterabsatz 1 dieser Richtlinie genannte Liste von Gebieten zusammen mit den
in Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie vorgesehenen Informationen
über diese Gebiete übermittelt hat.
2. Irland trägt die Kosten des Verfahrens.
Gulmann
Skouris
Schintgen
Macken
Cunha Rodrigues
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 11. September 2001.
Der Kanzler
Der Präsident der Sechsten Kammer
R. Grass
C. Gulmann